Bei systemischen Strukturaufstellungen wird die Struktur eines Systems mit Hilfe von anderen Personen im Raum dargestellt. Einzelne Personen repräsentieren dabei einzelne Teile des Systems, also beteiligte Personen, aber auch abstrakte Element, wie z.B. Ziele oder Glaubenssätze. Dabei können sowohl externe Systeme aufgestellt werden, z.B. eine Familie oder ein Arbeitsteam, als auch innere Systeme, z.B. unterschiedliche Aspekte einer Entscheidung oder eines Problems.
Im (Business-)Coaching ist der Einsatz von Strukturaufstellungen nicht möglich und sinnvoll. Zum einen findet Coaching in der Regel in einem Einzel-Setting statt. Es stehen dann nicht genügend Personen zu Verfügung, um ein komplexes System darzustellen. Zum anderen erfordert die Arbeit mit systemischen Aufstellungen viel Erfahrung mit gruppendynamischen und therapeutischen Prozessen und eine fundierte Ausbildung.
Strukturaufstellung als Visualisierung
Für das Coaching lässt sich die Grundidee von systemischen Strukturaufstellungen adaptieren. Ziel ist, die Struktur eines Systems zu visualisieren. Das kann z.B. mit Bodenankern geschehen (z.B. beschriftete Moderationskarten). Dann kann der Coachee die unterschiedlichen Positionen im Raum bewusst einnehmen und das System aus unterschiedlichen Perspektiven “betrachten”. Eine weitere Methode ist die Visualisierung eines Systems auf einem Blatt Papier, am Flipchart oder mit Spielfiguren.
Der Einsatz von sogenannten Bodenankern und das Nutzen des Raumes verstärkt in der Regel die Wirkung von Inventionen mit Strukturaufstellungen. Das Bewegen im Raum unterstützt das Nachdenken (Embodied Cognition), erleichtert unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und erlaubt Emotionen assoziiert wahrzunehmen (bzw. sich bewusst zu dissoziieren.)
Es gibt zahlreiche Methoden, die auf systemischen Strukturaufstellungen beruhen. Eine Methode ist das Tetralemma. Die Grundidee stelle ich ihnen in diesem Beitrag vor.
Beispiel Tetralemma: Strukturaufstellung für Entscheidungen
Das Tetralemma ist eine systemische Strukturaufstellung, die von Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd entwickelt wurde. Das Tetralemma basiert auf der indischen Philosophie, und wurde als logisches Schema insbesondere in der Rechtsprechung eingesetzt. Im Business-Coaching haben sich unterschiedliche Adaptionen entwickelt. Ich stelle Ihnen hier eine pragmatische und auf das Coaching im Einzelsetting angepasste Form vor. Das Tetralemma eignet sich, um in Bezug auf Entscheidungen den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern und neue Idee zu generieren, insbesondere wenn es um zwei Alternativen geht, die sich (zumindest auf den ersten Blick) gegenseitig ausschließen.
Das Tetralemma bietet sich an, wenn der Coachee sich nicht zwischen zwei Alternativen entscheiden kann. Insbesondere, wenn bereits beide Möglichkeiten ausführlich durchdacht und abgewogen wurden, kann das Tetralemma neue und überraschende Impulse geben. Dabei wird der Coachee gezielt angeregt, die Gefühlsebene (Bauchgehirn) und die mit den beiden Alternativen verknüpften Köpergefühle in die Entscheidungen mit einzubeziehen.
Die vier Positionen im Tetralemma
Vier Entscheidungsmöglichkeiten, also Positionen, sind logisch möglich:
- Das Eine. Die Position beschreibt die Entscheidung für die erste Alternative. Die Alternative sollte klar und eindeutig beschrieben werden können und sich mit einer erlebten (oder vorgestellten) Situation verknüpfen lassen.
- Das Andere. Diese Position beschreibt die zweite Alternative. Auch diese Alternative sollte sich klar und eindeutig beschreiben lassen. Außerdem sollte es sich auch sprachlich um eine echte Alternative handeln, also nicht nur die Verneinung der ersten Alternative.
- Beide Alternativen gleichzeitig umzusetzen erscheint meistens auf den ersten Blick nicht möglich. Hier geht es deshalb zunächst darum, die Irritation zuzulassen. Wenn das Bauchgehirn diese Position positiv bewertet, kann im nächsten Schritt (in der Regel nach der Aufstellung), überlegt werden, wie sich beide Alternativen vereinbaren lassen.
- Keines von Beidem. Diese Position regt dazu an, eine ganz neue Lösung zu entwickeln. Wenn das Bauchgefühl diese Position positiv bewertet, kann das auch darauf hindeuten, dass sich der Coachee zum jetzigen Zeitpunkt (noch) nicht entscheiden kann oder will.
Sparrer und von Kibéd fügen dem Tetralemma noch eine fünfte Position hinzu, die sie mit dem Satz “All dies nicht und selbst das nicht” beschreiben. Hier kommt die philosophische Grundhaltung zum Ausdruck, die hinter dem Tetralemma steht: Das Leben und die damit verbunden Entscheidungen werden als ein ständiger Kreislauf beschrieben. Das Ziel ist letztlich nicht, eine Entscheidung zu treffen, sondern sich persönlich weiterzuentwickeln. Da diese Haltung in den meisten Fällen nicht mit dem klaren Auftrag des Coachee zu vereinbaren ist, halte ich die fünfte Position in der ursprünglichen Form für nicht zielführend. Deshalb ist sie in der Form des Tetralemmas, das ich Ihnen unten vorstelle, etwas modifiziert. Hier taucht die fünfte Position als eine Meta-Position außerhalb der vier Positionen auf, die eine Betrachtung von außen ermöglicht. Hier wird es möglich, ganz neue, phantasievolle Lösungen zu denken.
Im Coaching-Tool Tetralemma habe ich das Vorgehen im Detail beschreiben. Hier erhalten Sie das Tool zum Download.
Aufstellungen als kreative Methode
Systemische Aufstellungen oder Methoden, die von systemischen Aufstellungen inspiriert sind, stellen wertvolle methodische Ergänzungen für das Coaching dar. Sie können kreativ genutzt und weiterentwickelt werden. So können z.B. in das aufgestellte System auch abstrakte Elemente integriert werden („Das, was noch fehlt“ oder „Die neue Idee, die mir noch einfällt“) oder eine Aufstellung genutzt werden, um ein Coaching-Gespräch zu strukturieren.
Die systemische Aufstellung wurde insbesondere durch die Familienaufstellungen von Bert Hellinger bekannt. Seine Arbeit wurde in den letzten Jahren zunehmend kritisch gesehen, vor allem wegen seiner oft wertenden, vorschreibenden und absolutistischen Kommunikation innerhalb therapeutischer Prozesse. So hat sich z.B. Arist von Schlippe, der ein Standardwerk zur Systemischen Beratung und Therapie geschrieben hat und Hochschullehrer für klinische Psychologie an der Universität Osnabrück ist, in einem offenen Brief deutlich von der Arbeit von Bert Hellinger distanziert.
Grundregeln für die Arbeit mit systemischen Aufstellungen
Folgende Regeln sind für systemische Aufstellungen im Coaching wichtig.
- Der Coach begleitet den Coachee durch den Aufstellungsprozess. Dabei ist er wertschätzend und unvoreingenommen. Der Coachee steuert den Prozess selbst, der Coachee greift nicht provozierend, oder verändernd ein.
- Der Coach verzichtet auf jegliche Bewertungen oder Deutungen. Er beschreibt, was in der Struktur (oder am Verhalten des Coachee) auffällt und gibt dem Coachee dazu Rückmeldung.
- Der Fokus liegt auf der Lösung. Der Coachee kann durch Veränderungen am aufgestellten System Ideen und Lösungsmöglichkeiten ausprobieren und durchspielen.
- Akzeptieren Sie als Coach die Grenzen, die sich aus dem Auftrag des Coachee ergeben und nutzen Sie systemische Aufstellungen verdeckte nicht als therapeutische Intervention.
Quellen und weiterführende Literatur
von Kibéd, M. V., & Sparrer, I. (2000). Ganz im Gegenteil: Tetralemmaarbeit und andere Grundformen systemischer Strukturaufstellungen-für Querdenker und solche, die es werden wollen. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag.