Systemische Fragen eröffnen neue Pespektiven

Systemische Fragen haben das Ziel, hinter das Problem zu blicken und neue überraschende Lösungen anzuregen. Die Fragen zielen ab auf

  • etablierte und festgefahrene Sichtweisen
  • Ansichten, Einstellungen und Erwartungen anderer Personen
  • Wechselwirkungen und Zusammenhänge
  • Hintergründe und verborgene Motivation
  • Gefühle und Wirklichkeitskonstruktionen
  • vorhandene Ressourcen
  • Lösungsversuche und Gedankenexperimente

Die Idee dabei: Durch das systemische Fragen werden nicht nur Informationen „abgefragt“, die dem Coachee bereits bekannt sind. Durch das Fragen werden auch neue Einsichten und Überlegungen „erzeugt“ oder „konstruiert“. Systemisches Fragen gehört zu einer professionellen und zielorientierten Gesprächsführung und ist gleichzeitig bereits eine wirksame Interventions-Methode. Das bedeutet aber auch: Systemisches Fragen macht aus einem Gespräch mehr als ein „normales Gespräch“. Auch deshalb ist es wichtig, dass Sie vor dem systemischen Fragen Ihre Rolle klären und das Einverständnis Ihres Coachee einholen.

Wenn Sie systemische Fragen „ohne Ankündigung“ anwenden, kann das dazu führen, dass sich Ihr Gesprächspartner oder Ihre Gesprächspartnerin bedrängt oder verhört fühlt. Machen Sie deshalb transparent, welche Funktion Ihre Fragen haben. Denn Systemische Fragen haben nicht das Ziel, Fakten und Tatsachen zu erfragen. Sie sind nicht in erster Linie dazu gedacht, Ihnen als Coach Informationen über den Coachee und das Thema zu geben, sondern den Coachee zum Nachdenken anzuregen.

„Ich möchte gerne genauer verstehen, um was es hier geht. Deshalb werde ich Ihnen noch einige Fragen zu den Details stellen.“

„Vielleicht werden Sie sich gleich wundern, was ich für merkwürdige Fragen an Sie stelle. Dann erinnern Sie sich an das, was wir zu Beginn vereinbart haben: Ich unterstütze Sie dabei, neue Ideen zu entwickeln!“

„Mich interessieren Die Hintergründe. Deshalb habe ich noch einige weiterführende Fragen zu Ihrer persönlichen Meinung und Einschätzung an Sie.“

Gleichzeitig ist systemisches Fragen Teil einer professionellen Grundhaltung, welche die individuelle Wirklichkeit des Coachee ins Zentrum stellt.

Eine light-Variante der Systemischen Fragen sind die Diagnosefragen. Diese können Sie zu Beginn eine Coachings einsetzen, um einen Überblick zu erhalten.

Systemische Fragen | Beispiele

Es gibt zahlreiche unterschiedliche Klassifikationsvorschläge für systemische Fragetypen. Ich stelle Ihnen hier eine vereinfachte Klassifikation auf Basis von drei systemischer Ebenen und drei systemischer Ressourcen vor.

Systemische Ebenen

Verhalten (Operationalisierung)

Eine Eigenschaft, ein Problem, das Verhalten des Coachee oder einer anderen Person wird konkretisiert. Von einem allgemeinen Konstrukt (Auftrittsangst) wird auf konkretes Verhalten („Ich gehe nicht auf die Bühne“ oder “Ich kriege rote Ohren“) operationalisiert.

  • Wenn sie aufgeregt werden, woran merken sie es zuerst?
  • Wenn sie ihr Verhalten filmen, was würden sie sehen?
  • Was ist ein konkretes Beispiel für das Verhalten ihres Chefs?
  • Woran erkennen sie, dass ihre Mitarbeiter sie nicht ernst nehmen?

Kontext

Diese Fragen zielen auf den Kontext, das System, das Umfeld, in dem ein bestimmtes Verhalten oder eine Eigenschaft auftritt.

  • Was müssten sie tun, damit alles so bleibt, wie es ist.
  • Wenn das Coaching erfolgreich ist, wer wird eine Veränderung bemerken?*
  • Warum möchten sie gerade jetzt mit dem Coaching beginnen?*
  • Wann zeigt sich XYZ besonders?
  • In welchem Kontext ist es am stärksten?
  • Wann empfinden Sie diese Eigenschaft als besonders belastend?

Interaktion

Hier stehen andere Personen im Vordergrund und die Kommunikation bzw. Interaktion innerhalb eines Kontextes. Die Bereiche Kontext und Interaktion sind nicht trennscharf, die Unterscheidung hilft Ihnen aber, den Kontext nicht nur als ”passiv” wirkend zu erfragen, sondern auch auf das Verhalten des Coachee innerhalb des Kontextes zu achten.

  • Wenn das Coaching erfolgreich ist, wer profitiert noch davon?*
  • Wie reagiert ihr Chef, wenn sie XYZ tun?
  • Woran merkt ihr Partner, dass sich XYZ verändert hat?
  • Wie reagieren sie auf die unangenehme Art Ihres Chefs, wenn ihr Thema geklärt ist?

Eine Spezialform der systemischen Fragen sind Fragen zum Auftrag (mit Stern gekennzeichnet). Diese Fragen dienen der Auftragsklärung und können sich auf alle drei Systemischen Ebenen beziehen.

Systemische Ressourcen

Bisherige Lösungsversuche (Historisierung)

Es stehen zunächst bisherige Lösungsversuche im Vordergrund. Hier kann exploriert werden, welche Ressourcen „noch fehlen“, es geht aber auch um die Würdigung bisheriger Anstrengungen und das Entdecken verborgener Ressourcen. Dabei können sich Lösungen auf alle drei systemischen Ebenen beziehen: Verhalten, Kontext und Interaktion.

  • Was haben sie bis jetzt versucht?
  • Wann gibt es Ausnahmen? Wann ist das Problem nicht aufgetreten?
  • Warum haben bisherige Versuche nicht zur Lösung geführt?
  • Was hat bis jetzt am meisten gebracht, was am wenigsten?

Möglichkeiten (Futurisierung)

Hier geht es um die Zukunft, der Fokus liegt auf der Lösung. Hier „konstruiert“ der Coachee Möglichkeiten: Wie könnte es sein, wenn …

  • Woran würden sie erkennen, dass das Problem gelöst ist?
  • Wie würden sie sich verhalten, wenn sie die Eigenschaft nicht mehr hätten?
  • Was wäre wenn …
  • Gesetzt den Fall, …

Implizite Theorien

Viele Menschen, die zu einem Coaching kommen, haben sich schon lange mit ihrer Frage, ihrem Anliegen, ihrem Problem auseinandergesetzt. Meistens haben sie auch bereits eigene Erklärungsansätze entwickelt, oder Erklärungen/Empfehlungen anderer (Freunde, Bekannte, Experten, Ratgeberliteratur) gehört. Das Nachfragen nach impliziten Theorien macht diese für Sie als Coach transparent und regt gleichzeitig das Nachdenken an.

  • Wie erklären sie sich ihr Verhalten?
  • Wie erklären sie sich die Reaktion ihres Umfeldes?
  • Was glauben sie, warum ist das so?
  • Was ist ihre Theorie zu diesem Verhalten?

Verschlimmerungsfragen

Eine weitere systemische Fragetechnik sind Fragen, die indirekt auf Ressourcen des Coachee abzielen. Die Idee: Wer weiß, was getan werden muss, um ein Problem schlimmer zu machen, weiß auch, was er tun müsste, um es zu verändern.

  • Mal angenommen, sie wollten sich noch mehr Stress machen, was müssten Sie tun?
  • Was müssten sie tun, damit alles noch schlimmer wird?
  • Wie müssten sie sich verhalten, damit alles so bleibt, wie es ist?

Wer schreibt hier?

Johannes ist Professor für Wirtschaftspsychologie in Stuttgart und Geschäftsführer der ich.raum GmbH. Er schreibt auf ichraum.de zu den Themen Coaching, Führung und Psychologie.

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