Das Modell des Psychoanalytikers Fritz Riemann eignet sich in der Anpassung von Christoph Thomann gut, um zu beschreiben, welche Rolle persönliche Bedürfnisse und Wünsche in einem Konflikt spielen. Das Modell geht von vier Grundbedürfnissen aus, die bei Menschen unterschiedlich ausgeprägt sind. Da das Modell einfach zu erklären und anzuwenden ist, lässt es sich für die Analyse von Konflikte einsetzen.
- Bedürfnis nach Nähe: Damit verbunden ist der Wunsch nach Kontakt, Freundschaft, Geborgenheit, Bestätigung, Vertrauen und Harmonie. Wenn Sie ein Bedürfnis nach Nähe haben, vermeiden Sie Konflikte und Auseinandersetzungen und setzten auf Einfühlungsvermögen und Verständnis. Dann sind Sie herzlich, freundlich, warmherzig, offen und zugewandt. Das Bedürfnis nach Nähe macht es Ihnen schwer, Nein zu sagen, sich abzugrenzen und Ärger zu artikulieren.
- Bedürfnis nach Distanz: Im Vordergrund steht der Wunsch nach Abstand, Abgrenzung und Unabhängigkeit. Das Bedürfnis nach Distanz führt dazu, dass Sie sich als eigenständiges, autonomes und einzigartiges Individuum wahrnehmen. Dann sind sie kritisch, beobachten genau und artikulieren Ihren Standpunkt genau und unabhängig. Dadurch wirkt Ihr Verhalten manchmal kühl, abweisend, zynisch oder aggressiv.
- Bedürfnis nach Dauerhaftem: Hier geht es um den Wunsch nach Sicherheit und Beständigkeit, Planung und Ordnung. Das Bedürfnis nach Dauerhaftem führt dazu, dass Sie zuverlässig und pünktlich sind, Verantwortung übernehmen, planen und kontrollieren. Das kann auch dazu führen, dass Ihr Verhalten unflexibel und pedantisch wirkt. Dann stehen Sie Veränderungen und Neuem kritisch gegenüber.
- Bedürfnis nach Wechsel: Das Neue, Abwechslung, Spontanität und Flexiblität sind hier wichtig. Sie wünschen sich kreative Aufgaben, die Lebendigkeit und Phantasie verlangen. Dann sind Sie neugierig, möchten neues Lernen, sind spontan und unterhaltsam. Gleichzeitig kann das auch dazu führen, dass Sie unzuverlässig, chaotisch oder geschwätzig wirken.
Das Modell von Riemann im Coaching
Das Modell eignet sich weniger zur Beschreibung von stabilen Persönlichkeitsmerkmalen oder abgrenzbaren Persönlichkeitstypen, sondern eher als Werkzeug um konkrete Bedürfnisse zu beschreiben, die sich aus einer Situation ergeben.
Die Bedürfnisse, die Riemann beschreibt, können sich von Situation zu Situation unterscheiden, und können sich sogar innerhalb einer Situation verändern. In dem Modell werden also keine unveränderbaren Persönlichkeitseigenschaften oder Persönlichkeitsmerkmale beschrieben. Ich spreche deshalb im Coaching lieber von Persönlichkeitszuständen oder Persönlichkeitsstilen als von Persönlichkeitstypen und betone die Veränderlichkeit der Zustände.
Ich möchte ihnen ein Modell vorstellen, das vier Bedürfnisse oder Wünsche beschreibt, die Menschen haben. Diese vier Bedürfnisse beziehen sich zum einen auf unterschiedliche Arten zu kommunizieren und sich mit anderen auszutauschen. Zum andern beziehen sich die Bedürfnisse auf Arbeitsstile oder Arbeitsaufgaben, die Menschen gerne machen und deshalb dabei auch erfolgreich sind.
Das Modell können Sie nutzen, um Konflikte oder missglückte Kommunikation zu analysieren. Es kann Ihnen z.B. dabei helfen, zu identifizieren, was Ihr Gesprächspartner jetzt gerade braucht.
- Welche Bedürfnisse sind für Ihren Gesprächspartner gerade wichtig?
- Welche Bedürfnisse bestimmen in der Situation Ihr eigenes Verhalten?
- Wo haben Sie durch Ihr Verhalten ein Bedürfnis Ihres Gesprächspartners verletzt?
Außerdem kann das Modell dazu dienen, Entwicklungspotential zu identifizieren.
- Wo macht die Übersteigerung eines Bedürfnisses mir das Leben schwer?
- Welches Bedürfnis wird bei mir am einfachsten aktiviert?
- Wohin möchte ich mich verändern?
- Welches Bedürfnis möchte ich häufiger aktiv werden lassen?
Das Persönlichkeitsmodell von Riemann ist keine Theorie im wissenschaftlichen Sinne, auf deren Basis sich Dimensionen der Persönlichkeit zuverlässig messen lassen. Der Hauptkritikpunkt ist dabei, dass die Einteilung in Typen oder die dichotome Bewertung von Eigenschaften (Distanz vs. Nähe) nicht der Wirklichkeit gerecht wird. So zeigen z.B. Studien zum Myers-Briggs-Typindikator, der ebenfalls mit Persönlichkeitstypen arbeitet, dass sich viele Menschen in der Mitte zwischen den Extremen befinden und die Zuordnung zu Persönlichkeitstypen nicht zuverlässig messbar ist.
Übung: Welcher Persönlichkeitsstil ist gerade aktiv?
Wenn Sie sensibel wahrnehmen, welcher Persönlichkeitsstil gerade bei Ihrem Gesprächspartner aktiv ist, können Sie das Gespräch entsprechend gestalten und auf den Stil eingehen.
1. Erinnern Sie sich an einen Konflikt oder eine Kommunikation, die nicht ganz glücklich verlaufen ist. Beginnen Sie bei sich selbst:
- Welcher Persönlichkeitsstil war bei Ihnen in der Situation aktiv? Zeichnen Sie sich selbst in das Koordinatensystem ein.
- Woran machen Sie das fest? Woran hätte Ihr Gesprächspartner merken können, welcher Stil bei Ihnen aktiv war?
2. Übernehmen Sie dann die Perspektive Ihres Gesprächspartners.
- Welcher Persönlichkeitsstil war bei Ihrem Gesprächspartner aktiv? Zeichnen Sie Ihren Gesprächspartner in das Koordinatensystem sein.
- Woran machen Sie das fest? Woran merken Sie, welcher Stil bei Ihrem Gesprächspartner aktiv war?
3. Denken Sie an ein zukünftiges Gespräch mit diesem Gesprächspartner.
- Was können Sie tun, um sich an den Stil Ihres Gesprächspartners anzupassen? Zeichnen Sie einen Pfeil in Richtung Ihres Gesprächspartners und machen Sie sich Notizen.
Was braucht welcher Persönlichkeitsstil?
Gehen Sie nacheinander die vier Persönlichkeitsstile durch und überlegen Sie:
- Was braucht ein Mensch, bei dem gerade dieser Persönlichkeitsstil aktiv ist, in einem Konflikt oder einem Gespräch?
- Was bedeutet das konkret? Wie können Sie das Gespräch gestalten? Welche Formulierungen verwenden Sie? Worauf achten Sie?
- Welche Verhaltensweisen würden den Konflikt verschärfen?
Diskutieren Sie folgende Fragen:
- Wie sind das Persönlichkeitsmodell von Riemann / Thomann und die Ideen der Transaktionsanalyse aufeinander bezogen?
- Welche Seite des Kommunikationsquadrats ist bei welchem Persönlichkeitsstil besonders ausgeprägt?
- Welche Arbeitsaufgabe passt zu welchem Persönlichkeitsstil?
Das Persönlichkeitsmodell von Riemann ist keine Theorie im wissenschaftlichen Sinne, auf deren Basis sich Dimensionen der Persönlichkeit zuverlässig messen lassen. Der Hauptkritikpunkt ist dabei, dass die Einteilung in Typen oder die dichotome Bewertung von Eigenschaften (Distanz vs. Nähe) nicht der Wirklichkeit gerecht wird. So zeigen z.B. Studien zum Myers-Briggs-Typindikator, der ebenfalls mit Persönlichkeitstypen arbeitet, dass sich viele Menschen in der Mitte zwischen den Extremen befinden und die Zuordnung zu Persönlichkeitstypen nicht zuverlässig messbar ist.
Weiterführende Literatur
Thomann, C. & Schulz von Thun, F. (1988). Klärungshilfe 1: Handbuch für Therapeuten, Gesprächshelfer und Moderatoren in schwierigen Gesprächen. Hamburg: rororo. (Aktuelle Auflage von 2003)
Riemann, F. (1961). Grundformen der Angst. München: Verlag Ernst Reinhard